Drei Forderungen aus der Zivilgesellschaft: Notfallplan für Bootsflüchtlinge / „Sichere Häfen“ ermöglichen / Keine Rückführung nach Libyen

1. März 2019

Jede Organisation, die diesen Brief zeichnen möchte, schickt bis zum
12. März 2019, 12:00 Uhr
den Namen der Organisation sowie das Logo an:
europa@proasyl.de
Der Brief wird einige Tage später mit den Namen aller Organisationen veröffentlicht.

Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel Bundeskanzleramt Willy-Brandt-Straße 1 10557 Berlin

Nachrichtlich:
Innenministerium
Auswärtiges Amt
Integrationsbeauftragte
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Drei Forderungen aus der Zivilgesellschaft: Notfallplan für Bootsflüchtlinge / Sichere Häfenermöglichen / Keine Rückführung nach Libyen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

in den vergangenen Wochen hat Deutschland, gemeinsam mit anderen europäischen Staaten, immer wieder Menschen aufgenommen, die im Mittelmeer aus Seenot gerettet wurden. Wir sehen dieses Engagement und begrüßen es, dass die Bundesrepublik bei anderen EU-Mit- gliedstaaten für einen ad-hoc Verteilmechanismus für diese Menschen wirbt.

Wir, die Unterzeichnenden, setzen uns auf unterschiedliche Weise für eine menschenrechts- basierte, solidarische Flüchtlingspolitik ein – als Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisatio- nen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, humanitäre Hilfsorganisationen, Seenotrettungsorganisa- tionen, Kommunen, Unternehmen, Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Bewegungen und Bündnisse.

Wir sind erschüttert angesichts der gegenwärtigen europäischen Politik, die immer stärker auf Abschottung und Abschreckung setzt – und dabei tausendfaches Sterben billigend in Kauf nimmt. All diese Menschen haben Schutz und eine menschenwürdige Zukunft für sich und ihre Familien gesucht.

Die Pflicht zur Seenotrettung ist Völkerrecht und das Recht auf Leben nicht verhandelbar. Diese Verantwortung trifft in erster Linie die EU und ihre Mitgliedstaaten; sie müssen eine völkerrechtsbasierte Seenotrettung auf dem Mittelmeer gewährleisten. Sie haben sich auch dazu verpflichtet, Schutzsuchenden Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewähren. Für all dies sind wir gemeinsam mit zehntausenden Menschen in den vergangenen Monaten bun- desweit auf die Straße gegangen.

Dass zivile Helfer*innen kriminalisiert werden, die der unterlassenen Hilfeleistung der europä- ischen Staaten nicht tatenlos zusehen wollen, ist ein Skandal. Diese Politik muss beendet werden, denn sie bedroht nicht nur das Leben von Menschen, sie setzt auch unsere eigene Humanität und Würde aufs Spiel. Und sie beschädigt das Vertrauen in den Rechtsraum und die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Daher bedarf es einer Neuausrichtung der deutschen und europäischen Politik.

Wir wenden uns an Sie als eine Kanzlerin, die in einem kritischen Moment einen Entschluss gefasst hat, europäisch zu handeln. Die folgenden Maßnahmen weisen aus unserer Sicht Wege aus der derzeitigen humanitären Katastrophe und der politischen Krise. Jetzt, kurz vor den Europawahlen 2019, sind sie wichtiger denn je.

1. Notfallplan für Bootsflüchtlinge: Die Bundesregierung verhandelt bereits mit anderen eu- ropäischen Staaten über ein ad hoc Verteil- und Aufnahmeverfahren (Relocation) für im Mit- telmeer gerettete Flüchtlinge. Mehrere europäische Staaten sollen sich unter Koordinierung der EU-Kommission zusammenschließen und die Menschen unter Anwendung der Humani- tären Klausel der Dublin-Verordnung nach einem vorher festgelegten Schlüssel verteilen. Den Schutzsuchenden muss nach Anlandung in einem sicheren europäischen Hafen eine men- schenwürdige Aufnahme und Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt werden. Der Eu- ropäische Flüchtlingsrat hat dazu einen praktikablen Vorschlag gemacht.1

Wir appellieren an Sie, schnellstmöglich einen solchen Notfallplan für Gerettete und andere über das Mittelmeer ankommende Schutzsuchende umzusetzen.

2. Sichere Häfenermöglichen: Wir bitten die Bundesregierung, aufnahmebereiten Kommu- nen in unserem Land die freiwillige Aufnahme von zusätzlichen Schutzsuchenden in einem europäischen Relocation-Verfahren zu ermöglichen. Zahlreiche deutsche Städte und Gemein- den haben sich in den vergangenen Monaten zum „Sicheren Hafen“ erklärt und ihre Aufnah- mebereitschaft signalisiert. Für sie muss eine Möglichkeit geschaffen werden, über ihre Auf- nahmepflicht gemäß Königsteiner Schlüssel hinaus, zusätzlich freiwillig Schutzsuchenden auf- zunehmen – entweder auf Grundlage bestehender oder neuer rechtlicher Regelungen.

3. Keine Rückführungen nach Libyen: Die EU und die Bundesrepublik müssen das Non- Refoulement-Gebot als zwingendes Völkerrecht achten und umsetzen. Wir bitten Sie, dieses Gebot deutlich gegenüber anderen Staaten zu verteidigen. Das Verbot der Zurückweisung in eine Bedrohungssituation verlangt, dass gerettete Menschen an einen sicheren Ort gebracht werden. Einige der südlichen Mittelmeeranrainer bemühen sich Asylsysteme aufzubauen. Auf- grund der fehlenden rechtsstaatlichen Garantien kann ein sicherer Ort bis auf weiteres jedoch nur in der EU liegen.

Nach Libyen zurückgebrachte Menschen sind systematisch Folter, Versklavung und Gewalt ausgesetzt, wie Sie aus UN- und Botschaftsberichten wissen. Dementsprechend darf es keine Rücküberstellungen nach Libyen geben. Daraus ergibt sich auch, dass die Bundesregierung und die EU jede Unterstützung und Ausbildung der sog. Libyschen Küstenwache einstellen müssen. Diese fängt fliehende Menschen erwiesenermaßen auf hoher See ab und bringt sie mit Gewalt nach Libyen zurück. Auch andere Staaten dürfen nicht dabei unterstützt werden, schutzsuchende Menschen abzuwehren, in Gefahr zurückzudrängen oder unter unmenschli- chen Bedingungen festzuhalten.

Wir richten diese Forderungen an Sie verbunden mit der Zusicherung, dass wir nicht nachlas- sen werden, uns mit aller Kraft für politische Lösungen einzusetzen, die von Humanität geleitet sind.

Hochachtungsvoll

[Namen und Logos aller Unterstützer*innen]

Jede Organisation, die diesen Brief zeichnen möchte, schickt bis zum
12. März 2019, 12:00 Uhr
den Namen der Organisation sowie das Logo an:
europa@proasyl.de
Der Brief wird anschließend mit den Namen aller Organisationen veröffentlicht.

1 Relying on Relocation: ECRE Proposal for a Predictable and Fair Relocation following Disembarka- tion, 25.01.2019. www.ecre.org/wp-content/uploads/2019/01/Policy-Papers-06.pdf