Das Integrationsparadox – ein Theaterbesuch

26. Oktober 2018

Wir waren im Theater. „Das Integrationsparadox“. Ein sperriger Titel ist das, für die Auseinandersetzung mit einer eigentlich ganz anschaulichen Frage: wächst unsere Gesellschaft zusammen? Oder driftet sie auseinander? Ist es ein gutes Zeichen, dass so viel gestritten wird aktuell, und so laut? Oder ist das ein Grund zur Sorge?

Aladin El-Mafaalani bemüht ein einfaches Bild, um zu zeigen: es gibt allerhand Grund, optimistisch zu sein. Sein Bild: Gesellschaft als Gruppe von Menschen, die gemeinsam am Tisch sitzen. Wo in der Vergangenheit neu zugewanderte noch am separaten Katzentisch Platz nahmen, sich mit Übriggebliebenem zufrieden zu geben hatten, sitzen heute nicht nur alle gemeinsam an einem Tisch. Sie diskutieren und streiten auch gemeinsam, nach welchem Rezept der Kuchen gebacken wird, der zum Kaffee serviert werden soll.

Photo von Javardh, Unsplash

Das Feuer als Symbol für die Hoffnung auf eine gemeinsame Vision für die Zukunft. Photo von Javardh, Unsplash

El-Mafaalani, Sohn syrischer Eltern – erstes in Deutschland geborenes Kind der Familie, Wahl-Dortmunder, Politikwissenschaftler und Soziologe, heute Leiter der Integrationsabteilung der nordrhein-westfälischen Landesregierung, teilt sich für seine Lesung an diesem Abend auf der Bühne einen kleinen Tisch mit Sascha Bisley, gebürtiger Iserlohner, Wahl-Dortmunder seit über zehn Jahren, früher Gewalttäter und heute einer, der als Sozialarbeiter Jugendlichen hilft, nicht in Gewaltszenen abzurutschen. Die beiden nehmen uns mit auf eine Exkursion durch Argumente, Statistiken und Daten, Histörchen und Anekdoten, die allesamt die These füttern: es gibt Grund für Optimismus. Und gleichzeitig: der Weg bleibt weiter anstrengend.

Wir lernen. Strecken uns sprachlich nach der Decke; die Nicht-Muttersprachler unter uns lernen neue Worte. „Extremismus“ ist so eines; „Kanadier“ ein anderes. Zwischen beiden Begriffen entfaltet sich im Gespräch auf der Bühne das Spektrum der Möglichkeiten, das Menschen wählen bei ihrer Anstrengung, einen Platz zu finden und zu halten in der Gesellschaft. Extremismus als Antwort auf gefühltes oder tatsächliches Ausgeschlossen-Sein am einen Ende, Kanada mit dem grundsätzlichen Ansatz, Neuzugewanderte Kanadier zu nennen als offenes, aufnehmendes Beispiel am anderen Ende.

Wir lernen. Werden aufmerksam gemacht darauf, wie wichtig es ist, genau hinzuschauen. Nuancen wahrzunehmen; nicht zu schnell zu glauben, man habe verstanden. „Die Muslime“ wird oft gesagt, und „der Islam“ – dabei sind das große Begriffe, in denen sich eine Vielzahl an Facetten verbergen. Details, die man eigentlich kennenlernen müsste, bevor man zu einem Urteil, einer Meinung kommt.

Wir lernen. Bekommen ins Bewusstsein gerufen, wie Medien funktionieren. Die berichten das Außergewöhnliche. Nicht den Normalfall. Das ist wichtig zu wissen, wenn man Berichterstattung als Barometer dafür nehmen will, ob Integration, ob Zusammenleben funktioniert in unserer Gesellschaft.

Wir lernen. Bekommen vorgeführt, wie wichtig es ist, im Gespräch zu sein – aber auch, dass wir vielleicht oft über die falschen Dinge sprechen, oder über die richtigen Dinge falsch. Über Konflikte reden wir häufig, als müssten wir sie lösen. Aladin El-Mafaalani und Sascha Bisley zeigen sie uns an diesem Abend als Indizien dafür, dass es eigentlich ganz gut läuft mit der Einwanderungsgesellschaft Deutschland. Nicht, dass es perfekt ist – aber, dass vieles deutlich besser geworden ist, als noch Jahre zuvor. Und dass es damit an der Zeit ist, über Ziele zu sprechen, und über die gemeinsame Zukunft zu diskutieren und zu streiten. Eine gemeinsame Vision zu entwickeln als Mittel gegen Rückwärtsgewandte und Spalter.